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Der befreite Vorerbe
Wer sein Vermögen nach seinem Tode zunächst einer Person (z. B. dem Ehegatten) zukom men lassen will, nach dem Ableben dieser Person aber einer anderen (z. B. seinen Kindern), ordnet eine Vor- und Nacherbschaft an. Wenn dabei der Vorerbe möglichst wie ein Vollerbe über das ererbte Vermögen verfügen können soll, muss er "von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit" werden. In diesem Falle wird er be​frei​ter Vor​er​be.

Dieser darf gemäß § 2136 BGB die Substanz des Nachlasses sowohl für seinen persönlichen Lebensbedarf als auch für wirtschaftliche Maßnahmen angreifen. Er ist vom Verbot eigennütziger Verwendungen befreit, kann also Erbschaftsgegenstände für sich verwenden, ohne zum Wertersatz verpflichtet zu sein. Er haftet nicht für gewöhnliche Abnutzungen. Außerdem ist er nicht zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet (siehe Palandt/Weidlich § 2136 Rz. 3).

Nicht erlaubt sind dem befreiten Vorerben unentgeltliche Verfügungen über Nachlassgegens tände (also Schenkungen). Außerdem gilt das sog. Surrogationsprinzip, so dass bei Verfügungen das Surrogat an die Stelle des bisherigen Gegenstands tritt, also z. B. der Kaufpreis an die Stelle des verkauften Hauses.

Rechtlich wird das unter Nacherbfolge fallende Vermögen als Sondervermö​gen des Vorerben angesehen, ohne dass der befreite Vorerbe verpflichtet ist, eine solche Trennung von seinem sonstigen Vermögen vorzunehmen.

Konkret bedeuten die vorstehenden allgemeinen Grundsätze folgendes:
  1. Da der befreite Vorerbe von den Einschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit ist, darf er über alle Nachlassgegenstände verfügen, gemäß Abs. 2 aber nicht durch Schenkung. Nur übliche Gelegenheitsgeschenke (z.B. zum Geburtstag oder zu Weihnachten) sind erlaubt.

    Eine geerbte Immobilie darf der befreite Vorerbe also ohne weiteres veräußern, sofern dafür ein realistischer Gegenwert (Kaufpreis) erzielt wird, der dann als Surrogat wieder unter die Vorerbschaft fällt.

  2. Soweit Geldvermögen zum Nachlass gehört, muss es der befreite Vorerbe nicht mündelsicher oder in sonstiger besonderer Weise anlegen, weil die §§ 2116 bis 2119 BGB nicht zur Anwendung kommen.

    Die Art der Geldanlage kann er also nach eigenem Gutdünken wählen, z.B. in Aktien mit einem (hohen) Risiko oder aber umgekehrt in eine besonders Risiko arme, damit aber möglicherweise wenig Ertrag bringende Anlage.

  3. Alle Nutzungen gebühren nach § 2111 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz BGB immer dem Vorerben, also nicht nur dem befreiten Vorerben. Aus diesem Grunde kann der Vorerbe die geerbte Immobilie auch selbst nutzen, ohne dafür dem Nacherben jemals eine Entschädigung zu schulden. Im Fall einer Vermietung würden dem Vorerben die Mieteinnahmen zustehen, so wie ihm auch alle Kapitalerträge aus dem Geldvermögen zustehen.

    Da § 2133 BGB für den befreiten Vorerben nicht gilt, stehen ihm sogar solche Früchte, wie der Rechtsbegriff lautet, zu, die von ihm den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zuwider gezogen werden oder sogenannte Übermaßfrüchte, die in Folge eines besonderen Ereignisses angefallen sind.

  4. Als Gegenstück dafür, dass der Vorerbe die Früchte/Nutzungen behalten darf, sind von ihm gemäß § 2124 BGB die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen.

  5. Wichtig ist, was gemäß § 2124 Abs. 2 BGB für andere Aufwendungen als die gewöhnlichen Erhaltungskosten regelt:

    Sofern der Vorerbe diese zum Zwecke der Erhaltung von Erbschaftsgegenständen den Umständen nach für erforderlich halten darf, kann er sie aus der Erbschaft bestreiten.

    Bestreitet er sie aus seinem Vermögen, so ist der Nacherbe beim Eintritt der Nacherbfolge zum Ersatz verpflichtet.

    Als solche "anderen Aufwendungen" gelten vor allem solche mit langfristig wertsteigern der Wirkung (Palandt/Weidlich § 2124 Rz 3 mit weiteren Nachweisen). Über die Notwendigkeit und den Umfang solcher Aufwendungen entscheidet dabei der Vorerbe nach seinem verständigen Ermessen aufgrund sorgfältiger Prüfung. Der Vorerbe hat also insoweit einen eigenen Entscheidungsspielraum.

    Als typische Positionen, die in Bezug auf eine Immobilie in diesem Sinne als "andere Aufwendung" anfallen können, werden genannt: Kosten für Erneuerung des Daches, der ganzen Hausfassade, für Einbau einer besseren Heizungsanlage, für Isolierverglasung der Fenster, Beseitigung von Störungen.

    Soweit solche "anderen Aufwendungen" aus Mitteln des Nachlasses bestritten werden, werden sie vom Nacherben quasi sogleich (mit-)bezahlt.

    Bestreitet sie der Vorerbe allerdings aus eigenen Mitteln, kann er (bzw. sein Erbe) mit Eintritt des Nacherbfalls diese Aufwendungen vom Nacherben verlangen und zwar sogar nebst Zinsen ab dem Zeitpunkt der Aufwendung, sofern der Vorerbe nicht die Nutzung ziehen konnte.

    Wichtig ist, dass dieser Anspruch auf Verwendungsersatz rechtlich konstruiert ist wie der Anspruch eines Beauftragten, der vom Auftraggeber (Nacherben) Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Nachlass aufgrund der Aufwendung zum Zeitpunkt des Nacherbfalls noch bereichert oder dieser Nachlassgegenstand überhaupt noch im Nachlass vorhanden ist. Allerdings schuldet der Nacherbe Aufwendungsersatz immer maximal in Höhe des ihm noch zukommenden Nachlasses.

    Für Investitionsüberlegungen eines Vorerben würde dies also konkret bedeuten, dass Investitionen auch über den bloßen Erhaltungsaufwand hinaus letztlich nicht verloren sind, selbst wenn er diese aus seinen eigenen Mitteln finanzieren würde. Allerdings entsteht der Anspruch auf Aufwendungsersatz erst mit Eintritt des Nacherbfalls, also erst mit dem Tod des Vorerben, sofern testamentarisch nichts anderes verfügt wurde.

  6. Wenn - in der Regel mit dem Ableben des Vorerben - der Nacherbfall eintritt, gilt folgendes:

    1. Geht z.B. alles nach dem Tode des längstlebenden Elternteils an die Kinder, so erben diese als unmittelbare Erben des längstlebenden Elternteils und zugleich als Nacherben des vorverstorbenen Elternteils.

      Da sie aber das gesamte Vermögen erben, ist für sie die Unterscheidung zwischen dem Vorerbenvermögen und dem eigenen Vermögen des längstlebenden Elternteils in der Regel nicht relevant.

    2. Anders verhält es sich, wenn als Erben nach dem Tode des befreiten Vorerben z.B. (nur) dessen Kinder aus 1. Ehe eingesetzt sind, während für die Kinder aus 1. Ehe des vorverstorbenen Ehegatten nunmehr der Nacherbfall eintreten soll. Dann fällt der gesamte Nachlass des Längerlebenden zwar zunächst (nur) an "seine" Erben, also einschließlich des rechtlichen Sondervermögens aus der befreiten Vorerbschaft.

      Aufgrund der angeordneten Nacherbfolge sind die Erben des Vorerben allerdings zur Herausgabe des Sondervermögens an die Nacherben verpflichtet. Gehört eine Immobilie zum Sondervermögen, muss dazu das Eigentum auf die Nacherben über tragen werden. Dies geschieht durch notariell zu beurkundende Auflassungserklärung und Eintragung im Grundbuch.

      Wenn dann gemäß obiger Ziff. 5 Ansprüche auf Aufwendungsersatz gemäß § 2124 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehen, kann die Eigentumsübertragung (selbstverständlich) davon abhängig gemacht werden, dass diese Ansprüche Zug um Zug befriedigt werden (§ 273 BGB).

  7. Wenn, wie im Beispiel unter obiger Ziff. 6.2, die Nacherben nicht mit den Erben identisch sind, ist dem befreiten Vorerben zur Vorbereitung auf den Nach​erb​fall noch folgendes zu empfehlen:

    1. Um (nur dann) den (normalen) Erben des Vorerben die nicht zu vermeidende Übertragung des unter Nacherbschaft stehenden Nachlasses an die Nacherben nicht unnötig schwierig zu machen, ist es sinnvoll, dieses Sondervermögen von vorn herein getrennt vom übrigen Vermögen zu halten.

    2. Alle Nutzungen/Früchte, die dem Vorerben gemäß obiger Ziff. 3 zustehen, sollte er regelmäßig aus dem Sondervermögen entnehmen und in sein übriges Vermögen überführen.

    3. Wenn vom Vorerben insbesondere größere Anschaffungen getätigt werden, sollte er dafür das Sondervermögen verwenden.

      Wichtig dabei ist allerdings, darauf zu achten, dass die Anschaffung nur dem Vorerben alleine zugute kommt.

      Würden er sich also z. B. aufgrund der Erbschaft eine Weltreise zusammen mit einem neuen Partner gönnen, sollte er das Ticket für diesen aus seinem sonstigen Vermögen und nur sein eigenes Ticket aus dem Sondervermögen erwerben. Denn das Ticket für den Partner wäre eine nicht erlaubte unentgeltliche Verfügung über das Sondervermögen.

      Auch beim Erwerb eines PKWs sollte es nicht der (nahezu ausschließlich) vom neuen Partner genutzte Zweitwagen sein, sondern ein Fahrzeug, das ausschließlich vom Vorerben alleine genutzt wird und allenfalls ausnahmsweise auch einmal von anderen Personen.

    4. Sofern der Vorerbe aus seinem Vermögen Aufwendungen im Sinne von obiger Ziff. 4 für eine Immobilie des Vorerbenvermögens macht, sollte er sorgfältig alle Rechnungen sammeln, um darüber die Höhe des Aufwands zu dokumentieren. Zusätzlich sollte er die Kontoauszüge aufheben, aus denen sich der Nachweis führen lässt, dass die Zahlung aus seinem sonstigen Vermögen erfolgte. Darüber hinaus wäre es natürlich sinnvoll, z. B. über Bilder zu dokumentieren, wie der Zustand vorher und nachher war.



Autor: Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Mickel nach dem Stand vom November 2017
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